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Überall Bullen und Ratsherren und -damen, nirgendwo Gerechtigkeit.

Rassistische Polizeigewalt: In den letzten Wochen hat dieses Thema den gesellschaftlichen Diskurs, vor allem auf linker Seite, zurecht bestimmt. Uns geht es im Folgenden nicht darum, Rassismus und Polizei als gesellschaftliche Themen zu analysieren, denn das hat bereits in vielen Artikeln stattgefunden. Wir möchten uns ein weiteres Mal mit der Situation in Essen beschäftigen.
Was in den letzten Wochen allgemein passiert ist, dürfte inzwischen bekannt sein: Nach der barbarischen Hinrichtung von George Floyd durch einen weißen Bullen vor einigen Wochen wurde zunächst in den USA und dann global eine Protestwelle  gegen rassistische Polizeigewalt und in Solidarität mit allen Betroffenen von Rassismus losgetreten.

Was ist los?

Dabei ging es – wie manch Konservative immer noch behaupten – nicht einfach nur um George Floyd. Es geht um Gerechtigkeit für Millionen von Opfer weißer Unterdrückung, Kolonialmacht, Gewalt, Ausbeutung, um alle Opfer von Rassismus (und nein Jörg, Rassismus gegen Deutsche (fb) gibt es nicht). Nun entlädt sich die Wut über all das ein weiteres Mal . Sich im Kontext von „Ausschreitungen“ wie zuletzt in Stuttgart mit nichts außer der Frage nach der Legitimität von Gewalt beschäftigen zu müssen ist ein verdammtes Privileg. Um das klar zu stellen: mangels Information können wir die sogenannten Stuttgarter Krawalle inhaltlich nicht bewerten. Aber wir sind uns sicher, dass ein paar Fensterscheiben und geklaute Kassen ein geringer Preis sind, die die staatlichen Institutionen für ihr Versagen zahlen müssen. Außerdem gut zu wissen: Die Krawalle sind mitnichten ein singuläres Ereignis gewesen. In der Geschichte der BRD gab es immer mal wieder Fälle von eskalierter Jugendgewalt. Ein Beispiel: Die „Schwabinger Krawalle“ 1962 in München. Von Historiker*innen werden diese heute als Ereignis bewertet „dass das Ende der Adenauer-Ära und die Liberalisierung der Bundesrepublik anzuzeigen scheint“.

Heute scheint es ganz anders zu sein: Teile von Gesellschaft und Presse wünschen sich mehr Polizeigewalt quasi herbei, um ähnliche Aufstände schnell und hart (heißt: blutig) niederzuschlagen. Und nicht nur wir fürchten, dass der Staat Stuttgart instrumentalisiert, um die Spirale der personellen und materiellen Aufrüstung der Bullen weiterzudrehen, das Strafrecht zu verschärfen und neue Überwachungsgesetze zu beschließen. Und es bleibt dabei: Die Polizei unterliegt autoritären und, zumindest in Teilen, rassistischen Strukturen. Da bleibt nur ein Ausweg: Ihnen gehören die Gelder gekürzt, sie gehören abgerüstet, und die Täter*innen unter ihnen müssen endlich zur Verantwortung gezogen werden. Auch in Essen gab es allein in den letzten Paar Monaten wohl viele Fälle von rassistischer Polizeigewalt, über drei von ihnen haben wir hier berichtet.
Dabei ist ein schrecklicher Mord durch Bullen in Essen West ein Jahr her, und das war der Mord an Adel B.

Demobericht: Adel B., das war Mord!

Anlässlich des Jahrestages der Ermordung von Adel B. durch einen Essener Polizisten demonstrierten am 20.06.2020 mehr als 300 Menschen friedlich in Essen-Altendorf. Die Kundgebung wurde maßgeblich von der Familie und den Hinterbliebenen von Adel B. mitgestaltet, unterstützt von einem breiten Bündnis anti-rassistischer Gruppen und aktiver Einzelpersonen. Die Kundgebung begann mit einer Rede der Mutter, die von ihrem Kampf in den Mühlen der deutschen Bürokratie berichtete: Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren zur Klärung des Falls eingestellt und die Beschwerden des Anwalts der Familie nicht zugelassen, sodass nur noch ein Klage-Erzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht in Hamm bleibt – Erfolg unklar. Adel B. wurde am 18.06.2019 durch die Wohnungstür seiner Lebensgefährtin erschossen, nachdem er selbst die Polizei gerufen hatte und von ihr durch Altendorf getrieben wurde. Die Polizei behauptete in einer ersten Stellungnahme, dass sie aus Notwehr gehandelt habe: Adel B. wäre mit einem Messer auf die Beamt*innen zu gestürmt. Das Video eines Nachbarn zeigt jedoch ganz im Gegenteil, wie drei Polizist*innen auf die Haustür zustürmen. Die Staatsanwaltschaft bezeichnet das beschönigend als „einige Irritationen“. Dass das Video vom Handy des Nachbarn durch die Beamt*innen gelöscht wurde und nur vorliegt, weil es schon in eine Cloud geladen wurde, verstehen wir hingegen als massive Strafvereitelung. Nachbar*innen wurden außerdem daran gehindert, erste Hilfe zu leisten, was Adel B. womöglich noch das Leben hätte retten können. Unterlassene Hilfeleistung kommt also auch noch hinzu. Von Polizei und Presse wird Adel B. als gefährlicher, suizidaler Alkoholiker abgestempelt.

Sie bedienen damit ein beliebtes Muster rassistischer Polizeiarbeit: Die „guten, deutschen Polizist*innen“ in demokratischer Demut gegen die „verrückten, drogensüchtigen Migrant*innen“. Bestärkt in dieser Haltung gesellten sich auch Beamt*innen locker plaudernd unter die Demoteilnehmenden und verließen erst nach mehrfacher Aufforderung durch die Demoleitung widerwillig den Platz. Nach dem Redebeitrag der Mutter von Adel B. wurde das Mikro eröffnet und Betroffene konnten von ihren Erfahrungen mit strukturellem Rassismus erzählen. Auch die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ und Anwält*innen berichtete von ihrem Kampf um die Aufklärung rassistischer Polizeimorde. Nach 3 Stunden erschütternder Berichte über das, was es laut Polizei und Staatsanwaltschaft nicht gibt, formierten sich die Teilnehmenden zu einer spontanen Demonstration zum Haus des ermordeten Adel B. Die Demonstration lief über die Altendorfer Straße und wurde schnell durch die umstehenden Passant*innen unterstützt. Kurz bevor der Demonstrationszug in die Straße des Hauses einbiegen konnte, wurden die ersten Reihen der Demo von Polizist*innen mit Faustschlägen und Tritten gestoppt. Ohne Mundschutz und Handschuhe bedrohten die Beamt*innen einzelne Demoteilnehmende „sich endlich zu verpissen“. Obwohl sie bedrängt und von allen Seiten eingekesselt wurden, wichen die Demonstrant*innen nicht zurück und beharrten auf ihrem Versammlungsrecht. Nach einer halben Stunde wurde dieses Grundrecht dann doch gewährt, sodass sich die Demo erneut formierte und ihren Weg zum Tatort fortsetzte. Dort sprach erneut die Mutter von Adel B., flankiert von der Polizei. Es ginge in ihrem Kampf nicht nur um den Fall ihres Sohnes, sondern um die Doppelmoral der deutschen Justiz, die Migrant*innen unter Generalverdacht stellt. Viele Teilnehmende der Demonstration hatten Tränen in den Augen, denn sie wussten nicht nur um die Verzweiflung von Adel B.s Familie, sondern kennen selbst die Gefahr, die von einem gewaltbereiten Staatsorgan ausgeht, das sich jeder Verantwortung entzieht und von einer undurchdringlichen Bürokratie geschützt wird. Am Ende der Straße wurde die Demonstration aufgelöst und die Teilnehmenden durften sich unter massiver Polizeibegleitung entfernen. Wir danken allen, die an der Demonstration teilgenommen, ihre Erfahrungen geteilt und Adel B. gedacht haben.

Und die WAZ?
Unser unliebstes städtisches Käseblatt im Bild-Format, auch bekannt als Westdeutsche Allgemeine Zeitung, titelt danach: „Anti-Polizei-Demo in Essen-Altendorf gerät aus dem Ruder“. Die Essener Bullen hatten zwar nicht mal Helme auf, aber klar. In einem weiteren Artikel heißt es dann: „Man muss in der jüngeren Geschichte dieser Stadt schon sehr viele Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte zurückschauen, um auf einen vergleichbaren Wutausbruch gegen die Polizei zu stoßen wie der, der sich am Samstag in Altendorf zutrug.“  Zunächst einmal ist das schlichtweg falsch, denn wütend sind wir und viele andere Essener*innen nicht erst seit gestern. Nein, mal im Ernst, liebe WAZ, wie kann eine erkämpfte Demonstration, in der niemand zu Schaden kam, als Eskalation abgetan werden? In dem Artikel heißt es, dass Bullen, die rassistisch sind, „nirgendwo geduldet, sondern im Gegenteil früher oder später disziplinarisch belangt“ würden. Wie kann man so mies recherchieren? Sogar Bullen selbst sagen dir, dass das Bullshit ist, wie der frühere Polizist und Professor für Polizeiwissenschaft Rafael Behr jüngst im Deutschlandfunk. Er weiß: Kritik an der Polizei ist nicht nur legitim, sondern muss sein. Das Schweigen innerhalb der Polizei, ihr Korpsgeist, ist ebenso ein Fakt wie die Behauptung, es gäbe nur ein paar schwarze Schafe unter sonst perfekten Bullen – Bullshit, ja, die deutsche Polizei hat ein strukturelles, systematisches Problem und keine Strukturen, die etwas dagegen tun und ja, das müssen wir kritisieren. Die immer selben Autor*innen haben jedoch nichts besseres zu tun, als alle paar Monate bei aktuellen Riots von „einer neuen Dimension“ oder einer „nie dagewesenen Stufe“ der Gewalt zu sprechen. Anstatt sich bei der WAZ endlich mal einzugestehen, dass es ein massives Problem gibt, heißt es: „Den schwadronierenden Linksextremisten und Imperialismus-Feinden, Antifa-Aktivisten und Polizeihassern ging es nicht um den Dialog, sondern um Diffamierung und Demagogie.“ Gut, das ist immerhin lustig. Das Lachen vergeht jedoch schnell, denn wenige Tage später titelt dieses Scheißblatt: „Darum meiden Essener die City: Parken, Euroshops, Migranten„. Fassen wir zusammen: Die WAZ ist Schrott. Dort wird nicht recherchiert oder journalistisch investigativ gearbeitet, stattdessen wird stumpf rassistische und rechte Hetze reproduziert und beflügelt. Wir hingegen fragen uns: Wenn der Kapitalismus abgeschafft ist, die alte WAZ jedoch noch zu Hause liegt, wohin damit? Spontan fällt uns nur eine geeignete Option ein: Die Altpapiersammlung, der Umwelt zur Liebe ;-) Bis dahin eignet sie sich allerdings auch hervorragend zur Vorsorge etwaiger Klopapier-Notlagen.

Ratsfraktionen des Grauens

Zurück zu Essen, denn hier wurde gleich zwei Tage nach der Demo für die Ratssitzung am 24.06. von CDU, SPD, FDP, der Fraktion Tierschutz/Sozialliberaler Bund sowie Essener Bürgerbündnis und Freie Wähler ein Antrag auf eine Resolution mit dem Titel: „Solidarität mit den Essener Einsatzkräften bei Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten“ gestellt. Bevor wir auf den Antrag und die Debatte an sich eingehen, hierzu zwei Gedanken:
Seit Beginn der Corona-Krise sehen wir immer wieder Personen von der Zentralen Ausländerbehörde Essen (ZAB) in bullenähnlicher Montur und großer Besetzung durch Parks, z.B. Stadtgarten oder Krupppark, patrouillieren, und wahllos Leute kontrollieren oder maßregeln, dass sie zu wenig Abstand halten würden. Aufstehen gegen Rassismus haben dazu bereits einen offenen Brief an die Stadt geschrieben, wie es sein kann, dass irgendwelche Angestellten im öffentlichen Dienst jetzt scheinbar als Hilfssheriffs fürs Ordnungsamt eingesetzt werden, ohne dass die Stadt etwas dazu sagt. Auch die ZAB-Leute würden unter die Berufsgruppen fallen, mit denen der Antrag sich solidarisieren will – doch geantwortet hat die Stadt auf diese Frage bis heute nicht.
Des Weiteren fällt an diesem Antrag mal wieder exemplarisch auf, dass konservative Parteien in der „Polizeigewaltdebatte“ dazu tendieren, Bullen mit Sanitätern oder Feuerwehr in einen Topf zu schmeißen und dann schnell schon mal „Polizeihasser*innen“ zu unterstellen, sie würden auch pauschal Sanis oder Feuerwehrleute abschaffen wollen. Das ist einfach Quatsch. Kein Mensch schreibt Songs über die „Arschlöcher im RTW“ oder brüllt „all firefighters are bastards“. Alles in einen Hut zu werfen und zu behaupten, wir wären sauer auf alle Einsatzkräfte, ist eine peinliche Diskursverschiebung und hat mit dem Inhalt des Ganzen überhaupt nichts zu tun. Klar, systemischen Rassismus gibt es auch im Gesundheitssystem und das zu thematisieren ist wichtig. Warum rassistische Bullen, die Leute in Gefahr bringen, und Einsatzkräfte von Rettungsdiensten was unterschiedliches sind, ist aber allen emanzipatorischen Menschenfreunden klar.
Nun zurück zum Antrag und vor allem zur darum geführten Debatte, die Mittwoch im Essener Rat geäußert wurde, möchten wir euch hier einige der größten Einfallspinsel aus der Diskussion vorstellen, mit jeweils einem Zitat von Mittwoch, dass euch helfen soll, die Damen und Herren einzusortieren:

 

• Peter Tuppeck, CDU, stellt sich kritisch die Frage, inwieweit Deeskalation als Schwäche angesehen wird

 

 

 

 

• Elisabeth Van Heesch-Orgass, Tierschutz/SLB, findet die Zwischenrufe aus der linken Ecke überflüssig, wollte sie nur mal sagen

 

 

 

 

• Hans-Ulrich Krause, SPD, ist sicherlich niemand, der mit historischen Vergleichen inflationär umgeht

 

 

 

 

• Hans-Peter Schöneweiß, FDP, weiß, wo die Übeltäter sitzen und weiß auch genau welcher politischer Hintergrund dahinter steht

 

 

 

• Eduard Schreyer, FDP, kennt das Schweinesystem seit 1977

 

 

 

 

• Ingo Vogel, SPD, weiß: es handelt sich um Einzelfälle

 

 

 

 

 

• Wilfried Adamy, EBB/FW, auf diese Unsinnigkeit dieser Anträge – also ihm fällt da nichts ein

 

 

 

Quiz:

Im Folgenden darf gern geraten werden, wer von ihnen die folgenden Zitate äußerte, wobei die Lösungen am Ende dieses Textes zu finden sind. Die ganze Debatte bei der Ratssitzung könnt ihr euch übrigens hier ansehen. (Klickt auf „Ratssitzung 49 vom 24.06.2020“ und dann auf TOP 8b):

1. Dabei zeugt es von eklatanter Unkenntnis direkt oder indirekt von systemischem Rassismus bei der Polizei zu sprechen, zumal es bei unserer Polizei zunehmend Migranten gibt.

2. Zumal es ja jedem frei steht sich bei konkretem Anlass an die jeweils zuständigen Stellen zwecks Beschwerde, Anzeige zu wenden.

3. Und dann wundern wir uns, dass aufgedrehte Jugendliche, oder Gäste dieses Landes oder was weiß ich für Menschen meinen, sie könnten sich alles erlauben.

4. Ich bin sicherlich niemand, der mit historischen Vergleichen inflationär umgeht, aber es hat in der deutschen Geschichte schon mal eine Phase gegeben, in der unter anderem die systematische Störung des Vertrauens in staatliche Institutionen zu einem totalitären System geführt hat.

5. Stuttgart. Sie haben es alle gesehen. Ich will gar nicht sagen, welche Pressemeldung richtig ist, wie viel Prozent da Leute mit Migrationshintergrund dabei waren, die sich offensichtlich nicht integrieren lassen wollen, obwohl wir ja auch als Kommune, als Land, als Bund relativ viele, viele Anstrengung, relativ viel, viel Geld investieren, damit das eben vernünftig läuft.

6. [Zur Linken Fraktion] Mittlerweile sind wir in einem Soziologie- oder was weiß ich was Seminar. Das war schon beachtlich, alle Achtung. Aber der Weg war klar gewiesen: Wir brauchen eine Revolution. Ich hoffe, sie kommt nicht.

7. Schauen Sie mal, wie das draußen geht, wenn ein Polizeibeamter angezeigt wird, wie lange der ein Disziplinarverfahren hat, damit er da einigermaßen vernünftig wieder raus kommt wenn er unschuldig ist und wenn er schuldig ist wird er entsprechend bestraft.

8. Man sollte sich jedoch durchaus kritisch die Frage stellen inwieweit Deeskalation und damit manchmal auch einhergehend das nicht-durchsetzen von Recht und Gesetz von einigen Menschen und Bevölkerungsgruppen als Schwäche interpretiert wird und sich solche Menschen bei einer von ihnen wahrgenommenen Folgenlosigkeit von Verstößen und Rechtsbrüchen im Laufe der Zeit immer mehr heraus nehmen und sich so die Grenzen mit jedem Vorfall ein Stückchen weiter verschieben.

9. Welchen Weg geht dieses Land? Was ist los auf den Deutschen Straßen? Haben die Leute nichts aus der Geschichte gelernt? Schaut doch bitte mal: was war Ende der Weimarer Zeit? Bekloppte aus allen extremen Lagern fielen auf den Straßen übereinander her und was war das Ergebnis?

10. Warum ist das so? Warum werden die Polizeikräfte angegriffen? Warum hat man keinen Respekt mehr vor der Polizei? Ich sag Ihnen warum: Das ist der Gedanke in dem Kopf mancher Leute, dass wir in einem Schweinesystem leben. Das ist das, was ich im Jahre 1977 immer wieder gehört habe von bestimmten Leuten.

Lösung:
1. Tuppeck (CDU) 2. Tuppeck (CDU) 3. Van Heesch-Orgass (Tierschutzpartei) 4. Krause (SPD) 5. Schöneweiß (FDP) 6. Schreyer (FDP) 7. Schöneweiß (FDP) 8. Tuppeck (CDU) 9. Van Heesch-Orgass (Tierschutzpartei) 10. Schreyer (FDP)

Was die „Vertreter*innen der Essener Bürger*innenschaft“ im Rat so geäußert haben geht gar nicht. Direkt der erste Redner, Ingo Vogel, Fraktionschef der SPD und selber Bulle, war sich nicht zu schade, von „Einzelfällen“ bei rassistischer Polizeigewalt zu sprechen. Peter Tuppeck, CDU, seines Zeichens Vorsitzender des Polizeibeirats, verglich dann daraufhin die Polizeiausbildung in den USA mit der in Deutschland, ganz gemäß dem Mantra: „Ja die Amis haben ein Problem weil die doof sind, aber bei uns Vorzeige-Almans ist alles wunderbar!“ und griff danach noch mit der Formulierung: „zum Teil bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen beim G20 Gipfel in Hamburg, bei der Räumung des Hambacher Forstes oder jüngst in Stuttgart, bei den Ausschreitungen, aber mittlerweile auch im kleineren Rahmen bei manchen Tumultdelikten im Ruhrgebiet und auch in Essen, wo Polizeibeamte tätlich angegriffen werden“ ganz tief in die Trickkiste des deutschen Bullshit-Bingos. Kurz darauf erklärt er mit Bezug auf die Demo in Altendorf: „Viele Teilnehmer skandierten „Deutsche Polizisten – Mörder und Rassisten“. Das entsetzt mich, macht mich sprachlos, wenn ich sowas in der WAZ lese.“.

Hans-Peter Schöneweiß, FDP, ebenfalls Ex-Bulle, schwelgt in Erinnerungen daran, wie Bullen bei vergangenen Aktionen „mit Steinen, mit Brettern, mit Latten, mit Scheiße“ beworfen wurden und erklärt nebenbei noch Teile der Innenstadt zur No-Go-Area. Wilfried Adamy, EBB/FW, äußerte sich besonders inhaltlich: „Erschreckend finde ich einfach, dass dann von bestimmten Rändern der Gesellschaft das wie eine Selbstverständlichkeit angesehen wird, Demonstrationen dazu zu nutzen um einfach nur Stimmung zu machen gegen die Polizei.“ Wir dagegen glauben nicht, dass es Demos braucht, um Stimmung gegen die Polizei zu machen. Diese Stimmung macht die Polizei schon ganz allein, und Demonstrationen sind Ausdruck dessen. Eduard Schreyer, FDP und schon wieder Ex-Bulle, erzählte die ganze Zeit von irgendwelchen Einsätzen, die er 1977 erlebt hatte und vom Schweinesystem; da sehen wir ehrlich gesagt auch nicht richtig durch. Besonders übel waren jedoch Aussagen von Hans-Ulrich Krause, SPD, und Elisabeth van Heesch-Orgass, Tierschutz/SLB, die guten Gewissens als heftiger Geschichtsrevisionismus gewertet werden können. Es handelt sich um die im Quiz erwähnten Zitate Nr. 4 und Nr. 9. Es handelt sich um Aussagen, die allen ernstes die Personen, die jetzt gegen rassistische Polizeigewalt auf die Straße gehen mit jenen vergleichen, die den Nationalsozialismus in Deutschland an die Macht gebracht haben. Immer wieder werden nachweislich Bullen als Nazis enttarnt, sie morden und kommen damit durch, und ihr haut sowas raus? Euer Ernst?! Mehr wollen wir dazu nicht sagen, außer noch: Augen auf bei der Kommunalwahl im September…

Das Gefühl zu kotzen liegt nahe, wenn ein Haufen alter weißer Menschen mit arrogantem Blick und herabwürdigenden Worten erklären, wie Rassismus in Deutschland so ist. Probs an dieser Stelle an die Gegenreden von Grünen und Linken, die unter anderem auch den Vorschlag unterbreiten, man könne ja mal mit Betroffenen von Rassismus sprechen, statt über sie. Wir haben gesehen, wie viele nicht-weiße Menschen in Altendorf dabei waren. Wir haben gesehen und gehört, wie die überwiegend nicht-weißen Passant*innen und Anwohner*innen nickten, klatschten, die Parolen mitriefen, den Protest unterstützen. Immer wieder hören wir von POC, was Bullen ihnen antun – und die Relativierung von etwa der Ratsfraktionen.

Abseits der teils rechten und rassistischen Aussagen einiger Ratsmitglieder schockiert uns deren eklatante Missachtung bekannter Tatsachen. Dass Rassismus bei der Polizei in Deutschland (und natürlich auch in ganz vielen anderen Ländern) ein Problem ist und dass dieses Problem System hat ist längst zu weiten Teilen der Bevölkerung durchgedrungen und bei Weitem kein Geheimnis mehr. Wer nicht immer nur die WAZ liest sondern sich auch mal die Berichterstattung von den Fraktionsmitgliedern scheinbar völlig unbekannten Medien wie Tagesschau, Monitor etc. (jaja, die öffentlich-rechtliche Lügenpresse) zu Gemüte führt, weiß das. Rafael Behr, von dem wir oben schon berichtet haben, ist nicht der einzige, der beispielsweise beim Deutschlandfunk von diesem Thema spricht. Beim Monitor gibt es sehenswerte Reportagen, lesenswerte Artikel bei der Frankfurter Rundschau, der Zeit und und und. Der Einsatz von Pfefferspray, welches von der deutschen Polizei inflationär gegen alles, was sich bewegt, eingesetzt wird, ist laut Genfer Konvention im Krieg sogar verboten. Amnesty International berichtet regelmäßig über Machtmissbrauch bei der Deutschen Polizei, die kaum vorhandenen Möglichkeiten für Betroffene, Gerechtigkeit zu erfahren und fordert dringend unabhängige Aufklärungsstellen.

Polizeigewalt in der kriminologischen Forschung

Es gilt, endlich den bürgerlichen Konsens des „Freund und Helfers“ zu brechen. Ein vernünftiger und kritischer Diskurs muss möglich ein, ohne dass jede*r, die*der die Polizei kritisiert, diffamiert und delegitimiert wird – Etwa indem man sich die wissenschaftliche Studienlage anschaut. Zum Beispiel das laufende Forschungsprojekt KVIAPOL von der Ruhr-Universität Bochum. Es beschäftigt sich mit Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen. Anhand des Zwischenberichts vom September 2019 wollen wir an dieser Stelle nur einmal drei der oft von der Politik getätigten Aussagen widerlegen:

1. „Fälle von Polizeigewalt sind Einzelfälle. Es gibt wenige schwarze, aber ganz viele weiße Schafe“
Die Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass es jährlich mindestens 12.000 mutmaßlich rechtswidrige Übergriffe durch Polizeibeamtinnen und -beamte gibt. Es wird ein enormes Dunkelfeld von mindestens 80 % erwartet.

2. „Die Einsatzmittel der Polizei seien sachgemäß und verhältnismäßig, schwere Verletzungen sind fast nie zu befürchten“
Die Folgen der Gewalt sind für die Betroffenen beträchtlich: Ein Drittel der Befragten ließ sich nach einem Vorfall von einem Arzt behandeln, neun Prozent nahmen psychologische Hilfe in Anspruch. Jeder Fünfte (19 Prozent) berichtete von andauernden Schlafstörungen. Im Fall schwerer körperlicher Verletzungen dominierten Gelenkverletzungen (10,2 Prozent) und sogar Knochenbrüche (6,2 Prozent)

3. „Übergriffe von Polizist*innen, sofern sie denn geschehen, werden bei uns konsequent verfolgt (1) und bestraft (2)“

(1) Die Verfolgung geschieht selten automatisch, sondern hängt von der Anzeigebereitschaft der Betroffenen ab. Diese lag bei den Befragten nur bei nur 9%. Hauptgründe für die Anlehnung der Anzeige waren „Aussicht auf Erfolglosigkeit eines Strafverfahrens“ sowie Angst vor Gegenanzeigen wegen Widerstands. Das entspricht auch der gängigen Praxis: Die meisten Anwält*innen raten aus genau diesen Gründen von Anzeigen ab.
(2) Falls doch Anzeigen erstattet wurden, war in der Regel (91%) klares Beweismaterial vorhanden (Zeug*innenaussagen, Videomaterial, ärztliche Befunde). Dennoch wurden bei den Befragten der Studie 86 % der Fälle noch vor der Hauptversammlung eingestellt, 93 % dann währenddessen. In der offiziellen Kriminalstatistik 2018 wurden sogar insgesamt 98 % der Fälle eingestellt. Heißt im Klartext: Polizist*innen haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Strafe zu befürchten.

Male tears by Horst, Henryk & co.

Tun wir nicht so, als gäbe es dieses Problem der Ignoranz und Unreflektiertheit nur in Essen. Wir hätten auch ein prominenteres Beispiel: der gruselige alte Mann aus Süddeutschland, manchen vielleicht auch bekannt als Horst Seehofer. Als vor einigen Wochen eine den meisten Menschen inzwischen wohl bekannte Anti-Bullen-Kolumne in der TAZ erschien, fühlte der Gute sich auf den Schlips getreten und griff zu gleich zwei dreisten Maßnahmen:

1. Er kündigte an, Anzeige erstatten zu wollen. In seiner Rolle als Innenminister. Gegen eine Journalistin bei einer Zeitung. Wir haben Verständnis für die geneigten Leser*innen, denen da jetzt dieses eine Wort durch den Kopf schießt: Pressefreiheit. Bei Horst blieb dieses Grundgesetz wohl leider nicht hängen und wir denken, diese bodenlose Blödheit entlarvt sich von selbst.

2. Als Reaktion auf die „Krawalle“ (mimimi) in Stuttgart wetterte der Chef des Bundesministerium des Inneren dann gleich noch „Aus Worten erfolgen immer auch Taten“ und bemühte sich redlich, besagter Autorin die Schuld an dem bisschen Sachbeschädigung zu geben. Wenn wir jetzt einfach sagen würden, dass er damit recht hätte, dann möchten wir hier auch mal ein paar Worte zitieren, aus denen Taten folgten:

„Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone.“ (März 2011)

„Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ (März 2018)

„Wir wollen keine Parallelgesellschaften und kein Multikulti.“ (April 2018)

„Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir so nicht bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden.“ (Juli 2018)

Dreimal dürft ihr raten, wer so etwas ekliges von sich gegeben hat… lieber Horst, du kannst Hengameh Yaghoobifarah schon die Schuld für Stuttgart geben – aber dann übernimm du bitte die Verantwortung für Rassismus, rassistische Gewalttaten und rassistische Morde in Deutschland.

Ähnlich menschenverachtend äußerte sich – ebenfalls in Reaktion auf Stuttgart – Henryk M. Broder (schon wieder ein alter weißer Mann, surprise…). Der selbsternannte Kämpfer gegen Antisemitismus, der sich ohnehin ständig als rechtes Arschloch erweist, legt einen Vergleich der Geschehnisse mit der Kölner Silvesternacht 15/16 nah (ein paar kaputte Scheiben vs. Belästigung, Missbrauch, Vergewaltigung im großen Ausmaß – läuft) und haut kurz darauf raus: „Jetzt hat auch Stuttgart seine kleine Kristallnacht erlebt.„. Ja richtig, ein Typ, der der Meinung ist, er setze sich gegen Antisemitismus ein, vergleicht einen harmlosen Riot mit Geschehnissen im Rahmen eines industriellen Genozids, einem der schlimmsten Verbrechen der Geschichte der Menschheit?! Wie schon gesagt, dass Broder nervt ist schon länger bekannt, aber das ist (diesmal wirklich) eine neue Dimension.

Wie geht es weiter?

Sagen wir es, wie es ist: die Lage hat sich verschärft. Während es immer mehr kritische Stimmen gegen Polizeigewalt gibt, plagt uns als Antifaschist*innen das Gefühl, dass Repression gegen Linke immer weiter zunimmt und immer verhältnisloser wird. Ein gutes Beispiel sind die G20 Prozesse, die bis heute andauern. Fünf Monate saß zum Beispiel der italienische Genosse Fabio in U-Haft, aber nicht wegen eines Vorwurfs einer Straftat, sondern einfach nur, weil er sein Recht auf Versammlungsfreiheit wahrgenommen hat und somit einer Demo, die vom deutschen Staat als schlecht bewertet wird „psychischen Beistand“ geleistet hat. Derzeit läuft der sog. Elbchausse-Prozess und wir können allen nur empfehlen, hier auf dem Laufenden zu bleiben. G20 ist schon drei Jahre her, aber politische Gefangene werden nicht in Vergessenheit geraten. Wir stehen solidarisch hinter euch!
Das bedeutet für die Zukunft: wir kämpfen weiter. Gegen Repression, gegen Bullen, gegen Rassismus. Wir wollen niemanden alleine mit rechter Gewalt oder rassistischen Kontrollen, prügelnden Cops oder voreingenommenen Richter*innen lassen. Wir fordern jede*n von euch auf, den antirassistischen Struggle weiterhin konsequent zu unterstützen, denn Solidarität ist unsere stärkste Waffe.

United we stand!