Seit zwei Tagen gibt es auf Instagram ein Video, in dem ein neuer Fall massiver rassistischer Gewalt durch die Essener Polizei publik gemacht wird. In dem etwa 10 Minuten langen Video berichtet einer der Betroffenen, Omar Ayoub, dass am vergangenen Samstag während einer Familienfeier mit seiner Frau, seinen Eltern, seinen jüngeren Schwestern und seiner Großmutter die Polizei wegen einer Ruhestörung vorbei kam. Als er sein Verwundern darüber ausdrückte, dass ein gemeinsames Essen in einem alleine stehenden Haus so laut sein kann, verlangten die Polizisten, in die Wohnung gelassen zu werden. Da sie keinen Durchsuchungsbefehl vorweisen konnten verweigerte Omar Ayoub ihnen den Zutritt und versuchte die Tür zu schließen. Daraufhin drangen die Polizisten in die Wohnung ein und schlugen und pfefferten zunächst ihn und dann seinen Vater, der versuchte, sie von ihm abzubringen. Mit der dazu gerufenen Verstärkung verprügelten sie nicht nur Omar und seinen Vater massiv, sondern warfen auch seine schwangere Frau zu Boden, schubsten seine 80-jährige Großmutter, schlugen die 16-jährige Schwester und nahmen wohlwollend in Kauf, dass sogar die 9-jährige Schwester vom Einsatz von Pfefferspray in der Wohnung verletzt wurde. Omar und sein Vater wurden in Streifenwagen verfrachtet, auch dort geschlagen und zur Wache gebracht, die sie Stunden später zum Glück wieder verlassen durften.
In diesem Video auf Instagram sieht man auch Fotos der zahlreichen Verletzungen an den Familienmitgliedern, die vielleicht nicht für jede*n ohne Weiteres zu ertragen sind. Im Zweifelsfall könnt ihr das Video etwa 15 Sekunden früher anhalten.
Was Omar Ayoub und seinen Angehörigen passiert ist, ist absolut furchtbar. Es darf und kann keinen Grund für Polizist*innen geben, so mit Menschen umzugehen – sie zu verletzen, zu beleidigen, zu erniedrigen. Leider scheint aber grade in Essen allein die Hautfarbe eines Menschen ein guter Grund für dieses Verhalten der Bullen zu sein, denn: Omar Ayoub ist nicht alleine! Allein in den letzten zwei Monaten gab es mindestens zwei weitere ähnliche Fälle.
- Mitte Februar wurde Ridvan Demir festgenommen, auf einer Wache rassistisch beleidigt und ebenfalls schwer verletzt. Die Bullen brachen ihm unter anderem die Nase. Auffällig dabei: wie auch bei Omar Ayoub handelte es sich um uniformierte Schläger der Wache in Altenessen. Ridvan erzählt von seinem Fall in diesem Video.
- Noch nicht einmal einen Monat später wurden eine 50 jährige Frau und ihre vier Kinder von Polizist*innen der Wache in der Innenstadt verletzt. Loveth Agbonlahor wollte auf der Wache eigentlich ihr Portemonnaie als gestohlen melden, stattdessen wurden sie und ihre beiden Töchter von den Beamt*innen zunächst zu Boden gedrückt, geschlagen und dann aus der Wache geschmissen. Als ihre beiden Söhne zur Wache kamen, um die Täter*innen zur Rede zu stellen, erfuhren auch sie Gewalt.
Rassistische Polizeigewalt hat in Essen System. Während sich der eine Bulle mit den Nazis von den „Steeler Jungs“ ablichten lässt, verprügelt der Andere willkürlich Menschen und muss nicht mal Konsequenzen befürchten. Auch im aktuellen Fall ist nicht mit irgendwelchen Folgen für den staatlichen Schlägertrupp zu rechnen, denn aus „Neutralitätsgründen“ wurden die Ermittlungen zu dem Fall in die – selbstverständlich überaus neutralen – Hände der Polizei im weit entfernten Bochum übergeben.
Was tun wenn man selbst Opfer von rassistischer Polizeigewalt wird? Erste Schritte, die zu ergreifen sind, und welche Möglichkeiten ihr noch in der Situation selbst habt, dokumentiert die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt für euch. Im Nachgang solltet ihr umgehend eine Anwältin*einen Anwalt eures Vertrauenskontaktieren. Für Essener*innen empfehlen wir außerdem wärmstens, sich an das Antirassismus-Telefon zu wenden. Die erfahrenen Mitarbeiter*innen erreicht ihr Wochentags zwischen 14:00 und 18:00 Uhr unter 0201-232060.
Wo Unrecht geschieht kann die Lokalpresse selbstverständlich nicht schweigen (der Artikel wurde inzwischen überarbeitet, der ursprüngliche Titel war: „Familie randaliert und verletzt eine Polizeistreife“). Die zur Imitation einer solchen verkommene Presselandschaft, bekannt als WAZ/NRW, hat in vorauseilendem Gehorsam direkt mal den Pressebericht der Bullen mehr oder weniger abgeschrieben – also, natürlich den Pressebericht vor der Veröffentlichung des Instagramvideos. Das ist gute WAZ-Tradition: Polizeiberichte fast Wort für Wort wiedergeben, ohne Hinweis darauf, dass man grade nur eine Perspektive zu lesen bekommt, und dann diese Perspektive als absolute Wahrheit präsentieren. Dass nach Veröffentlichung der Betroffenenperspektive ein zweiter Pressebericht raus kam, laut dem dann plötzlich auch noch diverse Beamt*innen ins Krankenhaus mussten (wie hier zu lesen), dürfte aber selbst den investigativen Trantüten der Westdeutschen Allgemeinen seltsam vorkommen. Verantwortlich für den grenzdebilen WAZ-Artikel ist übrigens eine unserer liebsten NRW-Kommentatoren und Journalistendarsteller: Jörg Maibaum. Das wortgewandte Sturmgeschütz der Essener Polizei kommentiert und berichtet am liebsten über Demos und Blaulichteinsätze in Essen und stellt sich als braver Bürger natürlich in aller Regel völlig unreflektiert auf Seiten der Staatsmacht. In seinen Artikeln reproduziert er, wie in diesem Beispiel wieder wunderbar zu sehen, Rassismen und Stereotypen und erreicht regelmäßig massive Diskurverschiebungen durch total dämliche Überschriften. Böse Zungen würden es vielleicht auch Clickbaiting nennen. Berichtet Maibaum über rassistische Polizeigewalt, dann gab es keinen Rassismus, denn die Polizei hat immer Recht – wer weiß es nicht. In Herrn Maibaums Welt ist die Polizei perfekt und der Protoalman kein Rassist. Der gute Herr kommentiert übrigens auch gerne al die Demos der Nazis in Steele und stellt dabei immer wieder unter Beweis: Die Hufeisentheorie ist und bleibt des Deutschen liebste Theorie.
Dass ein im Gegensatz zur WAZ deutlich kritischerer und lesenswerter Artikel über Omar Ayoubs Fall ausgerechnet von RTL kommt sagt eigentlich alles.
Polizeigewalt ist und bleibt in Deutschland ein massives Problem. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International beispielsweise berichtet seit Jahren davon und prangert die Mechanismen, die Fälle unter den Teppich kehren, massiv an. An der Ruhruni Bochum startete deswegen ein bislang einzigartiges Forschungsprojekt zu „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“. Zu Beginn des Projektes wurden dafür Daten tausender Betroffener von Polizeigewalt erhoben. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, aber der Zwischenbericht zeigt bereits, was linke Aktivist*innen seit Jahren anprangern: Das Problem besteht, es hat System, es hat beängstigende Ausmaße und es gibt kaum etwas, was man dagegen tun kann. Denn: bei Vorwürfen gegen Bullen ermitteln, wie auch im hier beschriebenen Fall, andere Bullen, und das führt in der überwältigenden Mehrheit zu absolut nichts. Auch raten sämtliche Anwält*innen dringend davon ab, Bullen anzuzeigen. Wer das tut muss mit Gegenanzeigen und Polizist*innen im Zeugenstand, die sich für einander krumm und schief lügen, rechnen. Dass deswegen die meisten Betroffenen schweigen, belegt auch die Studie an der RuB.
Wer sich lieber filmisch mit solchen Themen auseinander setzt, dem empfehlen wir die Videos von Monitor zu Polizeigewalt und unabhängige Dokumentationen wie „Hamburger Gitter„, ein Film, der die massive Polizeigewalt rund um die G20-Proteste in Hamburg 2017 dokumentiert.
Wir finden: es reicht. Endgültig. Wir wollen keine weiteren Verletzten durch Bullen mehr ertragen. Darum fordern wir:
- Kennzeichnungspflicht bundesweit für alle Polizist*innen
- Unabhängige Stellen zur Aufklärung von Polizeigewalt
- Gerechtigkeit für alle Opfer von Polizeigewalt
- Konsequentes Vorgehen gegen Rassismus bei Bullen
Wir solidarisieren uns mit allen Betroffenen von rechter, rassistischer und polizeilicher Gewalt!
No justice? No peace!