Gestern war der internationale Tag gegen Polizeigewalt. Anlässlich dessen und um darüber hinweg zu trösten, dass es dieses Jahr keinen allgemeinen Report von uns geben wird möchten wir ein paar Sätze zur Essener Polizei in den letzten 15 Monaten los werden. Denn: Wer von rechten Organisationen in Essen sprechen möchte, darf von der Polizei nicht schweigen. In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder vor allem auf Fälle von Polizeigewalt, aber auch sonstigem Fehlverhalten aufmerksam gemacht. Auch 2022/23 gibt es derartige Fälle, aber auch ein paar positive Neuigkeiten.
Eine dieser positiven Neuigkeiten ereignete sich im April 2022. Wer sich noch erinnert: im Jahr 2020 erfuhren Loveth Agbonlahor und ihre vier Kinder massive rassistische Polizeigewalt auf der Wache in der Innenstadt, als die WOC eine Anzeige wegen Diebstahls ihres Portemonnaies erstatten wollte[1]. Natürlich wurden die Söhne von Frau Agbonlahor wegen Widerstand angezeigt. Ein Gericht hat sie nun nicht nur freigesprochen; die Richterin kritisierte auch die „massiven Übergriffe“ der Polizei scharf[2]. Die beiden Männer haben die Polizist*innen ihrerseits angezeigt[3] und nun stellt sich heraus, dass es sich um Wiederholungstäter handelt – Überraschung. Der Anwalt der Geschädigten berichtet, dass mehrere der beteiligten Bullen sich bereits mit Delikten wie: „gefährlicher Körperverletzung im Amt durch Schlagstock-Einsatz über uneidliche Falschaussage bis hin zu Freiheitsberaubung und Verfolgung Unschuldiger“[4] schuldig gemacht haben. Scheinbar war der Angriff auf die Söhne von Frau Agbonlahor nicht der erste rassistische Überfall durch die Täter: 2019 beispielsweise schlugen einige von ihnen zwei Männer bei einer Verkehrskontrolle, beleidigten, bedrohten und pfefferten sie. Auch damals wurden schon Anzeigen gegen die Opfer gestellt – eine beliebte Taktik, um Betroffene von Polizeigewalt zum Schweigen zu bringen. Irgendwann kamen die Täter wegen des Übergriffs 2019 zwar auch vor Gericht, das Verfahren wurde damals aber gegen eine Geldstrafe von lächerlichen 2000€ eingestellt. Wir drücken die Daumen, dass diese rassistischen Schläger dieses mal nicht so schnell davon kommen.
Ebenfalls im April 2022 ereignete sich in Leithe ein Fall massivster Polizeigewalt, der medial leider viel zu wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Ein akut psychotischer Mann war zuvor vor Mitarbeitenden eines RTWs weg gelaufen und hatte sich nackt in einer Parkanlage versteckt. Die dazu gerufene Polizei suchte ihn in eben jenem Park und lies im Zuge dessen einen Hund los, der den Mann in einem Gebüsch entdeckte. Der Hund biss sich in dem Betroffenen fest. Er wurde aus dem Gebüsch geholt und noch weitere Male vom Hund gebissen und von den Polizist*innen getasert und geschlagen. DER WESTEN schreibt dazu: „DER WESTEN liegt ein Augenzeugen-Video vor, das den Polizei-Einsatz in einem rund sechsminütigen Ausschnitt zeigt. Zu sehen ist der nackte Mann, am Boden liegend, blutend, umzingelt und fixiert von zunächst fünf Polizisten. Später sind zwei weitere hinzugekommen. Auch ein Polizeihund ist im Einsatz, man sieht, wie das Tier immer wieder den längst überwältigten Mann, der ohnehin gegen die Überzahl der Polizisten keine Chance hat, beißt. Verstörend: Obwohl längst wehrlos und außer Gefecht, schlagen ein Polizist und eine Polizistin immer wieder mit ihren Schlagstöcken auf die Beine des 41-Jährigen ein. Dass der Einsatz von Spaziergängern beobachtet und gefilmt wird, stört die Polizisten nicht. Selbst nach mindestens zwei Minuten, die der wehrlose Mann bereits am Boden liegt, setzt ein Polizist einmal mehr einen Taser ein.“[5]. Im Übrigen widersprechen sich in diesem wie in tausenden anderen „Einzelfällen“ die Zeug*innenaussagen und der Polizeibericht. Die Polizei gab an, der Mann wäre aggressiv aufgetreten und hätte versucht, sie anzugreifen. Zeug*innen berichten, dass er keineswegs aggressiv war, sondern weg lief und einfach nur versuchte sich zu verstecken.
Die Kombination aus Taser (lässt das Opfer zucken) und Hund (beißt, wenn das Opfer zuckt) führte zu schwersten Verletzungen bei dem Mann. Auch juristisch könnte er noch unter Repressalien zu leiden haben, denn er wurde wegen Widerstand angezeigt und es wurde ein Verfahren eröffnet. Auch gegen die Polizei wird ermittelt, aus Neutralitätsgründen von Bochum aus. Dass interne Ermittlungen von Polizei gegen Polizei selten irgendeinen Effekt haben, egal ob von einer anderen Stadt aus oder nicht, ist bekannt und lässt kaum hoffen.
Wie bereits erwähnt, befand sich der Betroffene zum Zeitpunkt des Übergriffs in einer akuten Psychose und hat auch darüber hinaus mit psychischer Krankheit zu kämpfen. Grade in 2022 ereigneten sich überregional erschreckend viele Fälle von massivster Polizeigewalt gegen psychisch kranke Personen, die oftmals tödlich endeten, wie zuletzt zum Beispiel in zwei Fällen in Mai im Mannheim, im August in Recklinghausen und dann noch im Fall des minderjährigen Geflüchteten Mouhamed Dramé in Dortmund. Es dürfte schwer sein, so zu tun, als würde sich hier kein Muster ergeben: Die Polizei wird gerufen, um z.B. Sanitäter*innen oder Pädagog*innen im Umgang mit Personen in einer akuten Krise unterstützend unter die Arme zu greifen und verletzt oder tötet das Opfer. Das kann und darf so nicht weiter gehen. Wir wünschen dem Betroffenen aus Leithe weiterhin gute Besserung und für alle Gerichtsverhandlungen viel Kraft und Gerechtigkeit.
Im Juni 2022 tagte eine Seminargruppe des Landesjugendrings für ein Wochenende im Kulturzentrum GREND in Steele, direkt gegenüber der Sportsbar 300, welche dem bekannten Nazi Christian „Bifi“ Willing und seiner Frau gehört und als regelmäßiger Treffpunkt der Steeler Jungs dient. Am Samstagabend versammelten sich ca. 50 Personen vor der Bar und riefen Sprüche wie „Hitler und SS zurück!“, „Ausländer raus!“, „Jetzt töten!“ etc. Einige Seminarteilnehmer*innen versuchten, die Bedrohungen zu filmen, wurden dabei allerdings von den Nazis gesehen und daraufhin bedroht und beschimpft. Die Polizei wurde gerufen, tauchte allerdings nicht auf. Polizeiangaben zur Folge wurde dieser Fall akuter Gefahr als Ruhestörung gehandhabt und man traf erst zwei Stunden nach dem Anruf ein. Gesehen hat die Streife aber auch dann irgendwie niemand[6] [7]. Die Polizei behauptet allerdings, der Landesjugendring wolle nicht mit ihnen über die Geschehnisse reden und/oder Zeug*innenaussage treffen[8], dem Landesjugendring zur Folge stimmt das aber nicht [9]. Im Endeffekt lässt sich dieser Fall wohl als der gefühlt neuntausendste bezeichnen, in dem die Essener Polizei sich einen Dreck um den Umstand schert, dass die Steeler Jungs eine Bande von Nazis sind, die für viele Menschen, die nicht in ihr ekliges Weltbild passen, eine akute Gefahr darstellen.
Im August 2022 driftete die Essener Polizei von ihrem üblicher Weise rassistisch gefärbten Pfad ab und versuchte sich mal in einer neuen Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Im Rahmen des Essener CSDs wurde ein Teilnehmer von einem Polizisten homophob beleidigt. Als der Betroffene sich entfernen wollte kriegte er zunächst einen Schlag aufs Auge, ging dann zu Boden und wurde noch mehrfach geschlagen. Im Anschluss wurde er gefesselt und in Polizeigewahrsam genommen[10]. Wie auch im Fall des Schwerverletzten in Leithe ermittelt hier aus Neutralitätsgründen die Polizei Bochum. Versprechen wird sich hiervon wahrscheinlich niemand etwas.
Einen seltenen Fall von ernstzunehmender Konsequenzen konnte man dann
aber im November beobachten. 2019 hatte ein Polizist einen gefesselten Mann
(POC) in Mülheim geschlagen. Eine Polizistin hatte daraufhin die
Dienstgruppenleiter informiert, diese entschieden sich aber, nichts zu
unternehmen, außer den Vorfall zu vertuschen. Der Täter selbst war im Übrigen
auch Teil der rechten Chatgruppen, die 2020 bekannt wurden[11],
und wurde bereits 2021 zu neun Monaten Haft auf Bewährung wegen gefährlicher
Körperverletzung im Amt verurteilt, seine damalige Streifenpartnerin wegen
Strafvereitelung im Amt zu sechs Monaten auf Bewährung. Im Kontext seines
Verfahrens wurde auch die Vertuschung der Dienstgruppenleiter öffentlich und
somit auch, dass ihre einzige Reaktion aus der Aussage: „Alex, das macht man
nicht. Man schlägt keine gefesselten Leute.“[12]
bestand. Ein Verfahren wurde gegen die Dienstgruppenleiter, die natürlich laut
eigener Aussage von all dem noch nie gehört hatten, eröffnet und im Februar
2023 wurden beide zu jeweils 10 Monaten Haft verurteilt. Wir sagen: weiter so.
Wenn die Knäste voll mit Bullen sind sind unsere Straßen sicherer und es gibt
keine Haftstrafen mehr für so einen Quatsch wie Schwarzfahren.
Ebenfalls im November 2022 publiziert der ehemalige Essener Polizeipräsident
Frank Richter mit Unterstützung von NRWs Innenministier Herbert Reul einen
Sammelband namens „Phänomen Clankriminalität“. Das Buch gibt sich zwar wissenschaftlich,
die meisten Beiträge sind aber überholt und arbeiten kaum bis gar nicht mit
wissenschaftlichen Quellen. Stattdessen spiegelt es Meinungen wieder und wirkt
eher wie Werbung für die repressive Politik gegen Clans[13].
Ernstnehmen sollte dieses Werk also bitte niemand.
Ungefähr zeitgleich legte Frank Richter sein Amt aus gesundheitlichen Gründen
nieder. Nachfolger ist Andreas Stüve, ein weiterer selbsternannter Clanexperte[14].
Wir sind gespannt, wie er sich machen wird und wann die Essener Polizei unter
seiner Führung die ersten Negativschlagzeilen sammelt. Lange wird es sicher
nicht dauern.
Die weitere Perspektive für 2023 im Kontext Bullen wird durch einen konkreten Umstand besonders getrübt. In Essen West wird seit Anfang 2022 ein neues Trainingszentrum für die Polizei gebaut. Es zeichnet sich vorrangig durch einen für Europa einmaligen Schießstand aus: 100m lang, ergänzt um eine 270-Grad-Schieß-Freifläche und Trainingsgebäude und vor allem befahrbar mit dem Auto[15]. Demnächst lassen sich Erschießungen psychisch Kranker, POC und anderer marginalisierter Gruppen also auch im Drive-By-Stil erledigen. Wir haben gar keine Lust darauf, dass bald alle Bochumer und Essener Bullen plus diverse Spezialeinheiten bei uns trainieren und raten stattdessen zu einer umfassenden Entwaffnung der Polizei.
Unser Fazit: es ist und bleibt zum Kotzen mit der Essener Polizei. Ja, es gab jetzt endlich mal Konsequenzen, aber das ist noch lange nicht genug. Die Mörder von Adel B. und viele viele andere Täter rennen immer noch bewaffnet und staatlich legitimiert durch unsere Stadt. Wir wollen das nicht mehr hin nehmen und fordern daher: Bullen rein in die Knäste und dafür Freiheit für alle politischen Gefangenen!*
*Am Samstag, 18.03. ist der
Tag der politischen Gefangenen. Kommt um 12 Uhr zum Stadtgarten in den
Antikapitalistischen Block der Lützi Lebt Demo, seit mit uns laut und lasst und
dabei Lina, Finn und alle anderen, die für ihre Überzeugung sitzen, nicht vergessen.
Gemeint sind wir alle.
(Mehr Infos zur Demo findet ihr auf unseren Social Media Kanälen)
[1] s. Report 2020 der Antifa Essen West
[2] https://www.derwesten.de/staedte/essen/essen-polizei-rassismus-gewalt-id235033683.html
[3] https://www.waz.de/staedte/essen/vorwuerfe-gegen-essener-polizei-angeklagter-freigesprochen-id235031173.html
[4] https://www.waz.de/staedte/essen/pruegelvorwurf-in-essen-anwalt-prangert-polizeikomplott-an-id237883523.html
[5] https://www.derwesten.de/staedte/essen/essen-news-bochum-hund-video-park-polizei-gewalt-leithe-polizeipraesidium-id235067737.html
[6] https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/rechtsextreme-in-essen-steele-landesjugendring-vs-polizei-essen-100.html
[7] https://www.ljr-nrw.de/wp-content/uploads/2022/07/Offener-Brief-LJR-NRW-Gemeinsam-gegen-Rassismus_2.pdf
[8] https://polizei.nrw/presse/stellungnahme-zum-offenen-brief-des-landesjugendrings-nrw
[9] https://www.ljr-nrw.de/wp-content/uploads/2022/09/010_2022_PM-Richtigstellung-zur-aktuellen-Berichterstattung-Polizeieinsatz-in-Essen.pdf
[10] https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/nach-csd-schwere-vorwuerfe-gegen-essener-polizei-100.html
[11] s. Report 2020 der Antifa Essen West
[12] https://www.waz.de/region/rhein-und-ruhr/gericht-verurteilt-vorgesetzte-polizeigewalt-vertuscht-id237774349.html
[13] https://polizei-newsletter.de/wordpress/?p=1868
[14] https://www.land.nrw/pressemitteilung/andreas-stueve-wird-neuer-polizeipraesident-essen
[15] https://www.radioessen.de/artikel/polizei-essen-spatenstich-fuer-hochmodernes-trainingszentrum-1292771.html