(Anmerkung: Wir verstehen unter „Frauen“ alle Personen, die sich selbst als Frau verstehen, unabhängig vom gelesenen Geschlecht)
Gestern, am Morgen des 8. März 2021, wurde in der Steinstraße 7 in Essen eine Hausbesetzung unter dem Namen „Trans*Fläche“ ausgerufen. Die Besetzung wurde bereits nach wenigen Stunden geräumt. Parallel wurde von den Besetzer:innen ein 60-seitiges Zine mit dem Namen „Gegen diesen Feminismus!“ veröffentlicht. Als feministische Antifaschist:innen aus Essen möchten wir uns an dieser Stelle zu der kontrovers diskutierten Trans*Fläche äußern und unsere Position in einer ständig währenden identitätspolitischen Feminismusdiskussion darstellen.
Vorher sei noch gesagt: Mehrere Augenzeug:innen berichteten gestern im Rahmen der Räumung von Polizeigewalt und konnten Schreie aus dem Haus vernehmen. Als die Aktivist:innen im Polizeipräsidium eingesperrt waren wurden wiederholt Versuche, ihnen Lesestoff und weiteres zukommen zu lassen, von den Bullen unterbunden. Wir finden es unglaublich, dass die Essener Polizei seit der gewaltvollen Räumung des Zentrums für Antirassistische Politik im Sommer und nach Veröffentlichung unzähliger rechtsextremer Chats nichts dazu gelernt hat und immer noch ihre alte Ekelschiene fährt. Hört endlich auf, euch wie der letzte Abschaum zu verhalten und habt mal ein bisschen Respekt! Wir verurteilen jegliche Polizeigewalt und wünschen eventuellen Verletzten gute Besserung.
Zunächst sollte eigentlich allen Feminist:innen klar sein: Frauen sind natürlich nicht die einzige Gruppe, die unter dem Patriarchat leiden – im Gegenteil: es lässt sich keine konstruierte Gruppe benennen, die nicht in bestimmten Lebensbereichen durch patriarchale Strukturen eingeschränkt wird. Das bedeutet für uns, dass Antisexismus nur ein Teil eines konsequenten Feminismus ist. Feminismus muss auch gegen Trans*- und Homofeindlichkeit, gegen Antisemitismus und Antiziganismus und alle anderen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kämpfen und antirassistisch sein.
Im Folgenden werden wir nun auf einige Textpassagen des von den Besetzer:innen veröffentlichten Zine eingehen, das wir hiermit deutlich kritisieren:
Auf Seite 12 heißt es: „Cis-Feminismus zerstört nicht das Patriarchat. Er verschiebt nur das Patriarchat in eine andere Richtung. Cis-Feminismus reproduziert das Patriarchat“.
Die Gleichsetzung von Cis-Frauen mit dem Patriarchat und dadurch auch der Täterkultur widerspricht unserem feministischen Grundverständnis und ist für uns nicht nachvollziehbar.
Besonders kritikwürdig finden wir den Text: „Ohn(e)macht – Sprachlosigkeiten über Körpersprache“. Dort ist unter anderem zu lesen:
„Ich muss Nachts im dunklen Park keine Angst haben sexuell belästigt zu werden, weil dafür bin ich zu hässlich, vielleicht wenn ich ein besonders schönes Kleid anziehen würde und mir einen Silikon-BH umschnalle. Ich würde einfach sofort zusammengeschlagen werden, weil ich bin in der Gesellschaft ja nicht mal zum Sex haben gut und kann keine Kinder kriegen. Wow was für ein Trostpreis. Im patriarchalen Cistem bin ich Müll, nicht nutzbar für Sex oder Reproduktion…(…) Cis-Frauen müssen ihre Privilegien erkennen.“(S. 42)
Im Kontext der Sensibilität des Themas sexualisierter Gewalt und Betroffener finden wir es unerträglich, Vergewaltigung und Kleidungsstil in einen Zusammenhang zu setzen.
Im weiteren Verlauf des Textes heißt es: „Reproduktion ist ein Privileg! Warum muss ich mein Leben immer nach den cis Frauen mit Kind richten, mir ihr Leid anhören, wie schwer sie es ja haben. Dannoch gesagt bekommen: „Das kannst du nicht verstehen, du bist ja keine Mutter.“ !!! Ja ich kann das nicht so einfach wie du und dafür möchte ich mich jeden Tag töten! Jedes mal wenn ihr von eurem Blut erzählt, eurem neuen Moon-Cup, von dem gewärmten oder nicht gewärmten Metallgeschirr beim Gynäkologen möchte ich mich töten! Das macht ihr und euer Feminismus mit mir und ich weiß dass es anderen auch so geht. Das Problem warum ich manchmal Suizidal bin heißt nicht trans* sondern cis-Feminismus und Patriarchat.“ (S. 43/44).
Wir könnten an dieser Stelle darauf eingehen, wie viele Schwangere nicht freiwillig schwanger sind, wie es Frauen damit geht, als Gebährmaschinen behandelt zu werden oder auf ihre „Fruchtbarkeit“ reduziert zu werden. Wir verzichten darauf und betonen stattdessen lieber, dass es nicht sein kann, dass hier cis-Feminismus und das Patriarchat in einen Topf geschmissen werden. Wir respektieren das Bedürfnis nach einem achtsamen Umgang mit bestimmten Themen, finden jedoch die Art und Weise, wie diese Kritik hier formuliert und kontextualisiert wird, absolut unangebracht.
Der Text schließt mit: „Und Tot dieser Wissenschaft, diese reichen alten weißen Menschen, die jungen Menschen sagen wollen, wie ihre Genitalien zu heißen haben. Oder was für ein biologisches Geschlecht sie haben. Biologisches Geschlecht gibt es nicht, es ist ein scheiß Konstrukt der Wissenschaft. Burn all universities! They brought us shit!“ (S.44).
Gerade in Zeiten von Wissenschaftsfeindlichkeit, insbesondere in verschwörungstheoretischen Kontexten, stellen solche Aussagen eine gewaltige Gefahr dar. Kritik kann und soll formuliert werden, doch in Beispielen wie diesem hier spielt sie lediglich Rechten in die Hände. Male Bias und Binarität sind ein existentes Problem, doch dies lediglich auf eine Gefahr für Trans*Personen herunterzubrechen, ignoriert die realen Gefahren für alle Frauen in medizinischer Behandlung.
Als radikalfeministische Gruppe ist es uns ein wichtiges Anliegen, das Leid von Frauen nicht zu relativieren und daher widersprechen wir an dieser Stelle eindeutig der Gleichsetzung von Cis-Feminist:innen mit dem Patriarchat. Ein ausführlicheres Statement wird zu gegebener Zeit folgen.
Antifa Essen West